11.07.2025
AEB: Pressemitteilung zum 10-jährigen Jubiläum des Südtiroler Inklusionsgesetzes
Dachverband Mitgliedsorganisationen
10 Jahre Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Behinderungen in Südtirol – AEB zieht Bilanz und fordert mutige Umsetzung.
Vor genau zehn Jahren, am 14. Juli 2015, wurde das Landesgesetz Nr. 7 verabschiedet – bekannt als Inklusionsgesetz –, das in Südtirol wichtige Weichen für ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderungen gestellt hat. Der Verein AEB – Aktive Eltern von Menschen mit Behinderung VFG nimmt das zehnjährige Jubiläum zum Anlass, um eine kritische Bilanz zu ziehen: Das Gesetz ist in seiner Grundidee stark, mutig und zukunftsorientiert – in der Umsetzung hingegen gibt es nach wie vor große Lücken.
Ein starkes Gesetz – Schwächen in der Umsetzung
„Das Gesetz zur Teilhabe und Inklusion von 2015 ist ein Meilenstein“, so Angelika Stampfl, Präsidentin des AEB. „Es hat die Prinzipien der UN-Konvention festgeschrieben – etwa das Recht auf Bildung, Arbeit, Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Behinderungen.“ Doch die Realität hinkt dem Anspruch oft hinterher, so fehlen z.B. konkrete Durchführungsbestimmungen in den wichtigen Feldern Mobilität und Freizeit. Ein besonders eklatantes Beispiel war das Ausschreibungschaos beim Transportdienst im Jahr 2024, das viele Familien vor große Herausforderungen stellte. „Ein gutes Gesetz braucht klare Rahmenbedingungen. Nur so kann man vermeiden, dass Menschen mit Behinderungen am Ende die Leidtragenden von organisatorischen und politischen Fehlentscheidungen sind“, so der AEB.
Inklusion in der Schule: Potenzial verschenkt
Im Bildungsbereich zeigt sich deutlich, wie groß die Kluft zwischen Anspruch und Realität ist. Es fehlt an Personalressourcen sowie an qualifiziertem Personal – sowohl Mitarbeiterinnen für Integration als auch Integrationslehrpersonen sind oft überlastet oder nicht ausreichend geschult. Viele Kinder mit Behinderung erhalten daher eine nicht bedarfsgerechte Zuweisung an Integrationspersonal und demzufolge keine angemessene Förderung. Nicht selten scheitert ihre schulische Entwicklung an strukturellen Mängeln, so dass sie von schulergänzenden Tätigkeiten, Lehrausgängen und Reisen teilweise ausgeschlossen bleiben. In einigen Landesfachschulen führt die unzureichende Stundenzuweisung sogar dazu, dass die Jugendlichen mit Behinderung in Sonderklassen betreut werden, gemeinsam Freizeitaktivitäten ausführen und nicht am Regelunterricht teilnehmen, was zur Exklusion führt.
Der AEB hat sich dafür eingesetzt und ist nun zufrieden, dass Menschen mit Behinderung und betroffene Eltern im Landesbeirat der Schüler:innen und Eltern in Zukunft vertreten sein werden. Dies soll vermehrt zur gelebten Inklusion beitragen. Auch der Übergang von der Schule ins Berufsleben wird nicht in ausreichendem Maße begleitet. „Die Landesfachschulen könnten jungen Menschen mit Behinderung eine wertvolle Brücke in die Arbeitswelt bauen, wenn Schüler:innen mit Behinderung sie, wie in den allgemeinbildenden Oberschulen, bis zur zieldifferenten Matura besuchen könnten. Aber in der Praxis stehen viele mit 17 Jahren nach dem Abschluss einer dreijährigen Landesfachschule einfach zu Hause – ohne Perspektive“, kritisiert der AEB. Gerade diese jungen Menschen bräuchten mehr Zeit, Begleitung und verschiedene praktische Erfahrungsmöglichkeiten, um ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Der fünfjährige Besuch aller Landesfachschulen muss Jugendlichen mit Behinderung gewährt werden fordert der AEB schon seit Jahren.
Arbeit als Normalität – nicht als Ausnahme
Positiv hebt der AEB das Amt für Arbeitsmarktintegration hervor, ebenso wie die differen zierte Zweisprachigkeitsprüfung und das im Januar eingeführte Berufsbild der Verwaltungs hilfskraft. Diese neu geschaffenen Möglichkeiten eröffnen reale Chancen für berufliche Inklu sion. Und es gibt sie, die gelungenen Beispiele von Inklusion am Arbeitsplatz in Südtirol – sie sind aber noch die Ausnahme. Der AEB wünscht sich: „Diese Beispiele müssen zur Regel werden“ und die Jugendlichen müssen durch spezialisiertes Personal, sprich Fachkräfte für Arbeitsinklusion, beim Schritt in die Arbeitswelt bedarfsgerecht begleitet werden.
Selbstständiges Leben ermöglichen – mit und ohne Begleitung
Die Vielfalt von Behinderungen erfordert differenzierte Lösungen im soziosanitären Bereich. Einige Menschen werden immer auf umfassende Betreuung angewiesen sein –für sie braucht es passende wohnortnahe Pflegeplätze. Doch viele können selbstständig leben, wenn sie die richtige Unterstützung bekommen. Der AEB begrüßt daher ausdrücklich, dass in Südtirol zunehmend betreuter oder begleiteter Wohnraum für Menschen mit Behinderung geschaffen wird – ein ermutigender Schritt in Richtung Selbstbestimmung, der durch das neue Wohnbaugesetz und die Vereinfachung der persönlichen Assistenz aber stark vorangetrieben werden muss.
Mündige Bürger:innen - Wahlrecht und Mitbestimmung für alle
Der AEB ermutigt Familien, gemeinsam mit ihren volljährigen Angehörigen mit kognitiver Beeinträchtigung zur Wahl zu gehen – in dem Bewusstsein, dass auch diese Mitbürgerinnen und Mitbürger ein grundlegendes demokratisches Recht nutzen sollen: das Recht zu wählen. Leider ist der Zugang zur Wahlurne für Menschen mit Behinderung von Gemeinde zu Gemeinde sehr unterschiedlich. Während einige Gemeinden offen und unterstützend agierten, kam es andernorts zu Verunsicherung oder sogar Ablehnung – oftmals aus Unkenntnis darüber, ob und wie Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung ihr Wahlrecht wahrnehmen dürfen. Der AEB ist diesbezüglich in Kontakt mit dem Gemeindeverband und setzt darauf, dass Menschen mit Behinderung, immerhin 10% der Wahlberechtigten, in Zukunft ohne Barrieren zur Wahl gehen können.
Fazit und Ausblick
„Das Gesetz hat uns klare Ziele, nämlich Inklusion und Teilhabe, und einen Kompass gegeben“, so Angelika Stampfl. „Jetzt müssen wir mutig und konkret alle noch bestehenden Barrieren abbauen.“ Der AEB fordert von der Landespolitik, endlich die fehlenden Durchführungsbestimmungen zu erlassen, den Mangel an Fachpersonal systematisch anzugehen und Inklusion nicht länger als Sonderlösung, sondern als gesellschaftliche Norm durchzusetzen
Vor genau zehn Jahren, am 14. Juli 2015, wurde das Landesgesetz Nr. 7 verabschiedet – bekannt als Inklusionsgesetz –, das in Südtirol wichtige Weichen für ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderungen gestellt hat. Der Verein AEB – Aktive Eltern von Menschen mit Behinderung VFG nimmt das zehnjährige Jubiläum zum Anlass, um eine kritische Bilanz zu ziehen: Das Gesetz ist in seiner Grundidee stark, mutig und zukunftsorientiert – in der Umsetzung hingegen gibt es nach wie vor große Lücken.
Ein starkes Gesetz – Schwächen in der Umsetzung
„Das Gesetz zur Teilhabe und Inklusion von 2015 ist ein Meilenstein“, so Angelika Stampfl, Präsidentin des AEB. „Es hat die Prinzipien der UN-Konvention festgeschrieben – etwa das Recht auf Bildung, Arbeit, Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Behinderungen.“ Doch die Realität hinkt dem Anspruch oft hinterher, so fehlen z.B. konkrete Durchführungsbestimmungen in den wichtigen Feldern Mobilität und Freizeit. Ein besonders eklatantes Beispiel war das Ausschreibungschaos beim Transportdienst im Jahr 2024, das viele Familien vor große Herausforderungen stellte. „Ein gutes Gesetz braucht klare Rahmenbedingungen. Nur so kann man vermeiden, dass Menschen mit Behinderungen am Ende die Leidtragenden von organisatorischen und politischen Fehlentscheidungen sind“, so der AEB. Inklusion in der Schule: Potenzial verschenkt
Im Bildungsbereich zeigt sich deutlich, wie groß die Kluft zwischen Anspruch und Realität ist. Es fehlt an Personalressourcen sowie an qualifiziertem Personal – sowohl Mitarbeiterinnen für Integration als auch Integrationslehrpersonen sind oft überlastet oder nicht ausreichend geschult. Viele Kinder mit Behinderung erhalten daher eine nicht bedarfsgerechte Zuweisung an Integrationspersonal und demzufolge keine angemessene Förderung. Nicht selten scheitert ihre schulische Entwicklung an strukturellen Mängeln, so dass sie von schulergänzenden Tätigkeiten, Lehrausgängen und Reisen teilweise ausgeschlossen bleiben. In einigen Landesfachschulen führt die unzureichende Stundenzuweisung sogar dazu, dass die Jugendlichen mit Behinderung in Sonderklassen betreut werden, gemeinsam Freizeitaktivitäten ausführen und nicht am Regelunterricht teilnehmen, was zur Exklusion führt.Der AEB hat sich dafür eingesetzt und ist nun zufrieden, dass Menschen mit Behinderung und betroffene Eltern im Landesbeirat der Schüler:innen und Eltern in Zukunft vertreten sein werden. Dies soll vermehrt zur gelebten Inklusion beitragen. Auch der Übergang von der Schule ins Berufsleben wird nicht in ausreichendem Maße begleitet. „Die Landesfachschulen könnten jungen Menschen mit Behinderung eine wertvolle Brücke in die Arbeitswelt bauen, wenn Schüler:innen mit Behinderung sie, wie in den allgemeinbildenden Oberschulen, bis zur zieldifferenten Matura besuchen könnten. Aber in der Praxis stehen viele mit 17 Jahren nach dem Abschluss einer dreijährigen Landesfachschule einfach zu Hause – ohne Perspektive“, kritisiert der AEB. Gerade diese jungen Menschen bräuchten mehr Zeit, Begleitung und verschiedene praktische Erfahrungsmöglichkeiten, um ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Der fünfjährige Besuch aller Landesfachschulen muss Jugendlichen mit Behinderung gewährt werden fordert der AEB schon seit Jahren.
Arbeit als Normalität – nicht als Ausnahme
Positiv hebt der AEB das Amt für Arbeitsmarktintegration hervor, ebenso wie die differen zierte Zweisprachigkeitsprüfung und das im Januar eingeführte Berufsbild der Verwaltungs hilfskraft. Diese neu geschaffenen Möglichkeiten eröffnen reale Chancen für berufliche Inklu sion. Und es gibt sie, die gelungenen Beispiele von Inklusion am Arbeitsplatz in Südtirol – sie sind aber noch die Ausnahme. Der AEB wünscht sich: „Diese Beispiele müssen zur Regel werden“ und die Jugendlichen müssen durch spezialisiertes Personal, sprich Fachkräfte für Arbeitsinklusion, beim Schritt in die Arbeitswelt bedarfsgerecht begleitet werden. Therapien: Mangel an zentralem Unterstützungsangebot
Auch im therapeutischen Bereich schlägt der Fachkräftemangel voll durch. Es fehlen Ergo therapeut:innen und Logopäd:innen und Physiotherapeut:innen – Expert:innen, die entscheidend dazu beitragen, dass Kinder mit Behinderung sprachlich und körperlich wachsen können. „Kommunikation ist zentral für soziale Teilhabe. Wir müssen sicherstellen, dass jeder Mensch mit Behinderung die Unterstützung erhält, die er braucht, um sich mitteilen und Beziehungen gestalten zu können“, betont der AEB.Selbstständiges Leben ermöglichen – mit und ohne Begleitung
Die Vielfalt von Behinderungen erfordert differenzierte Lösungen im soziosanitären Bereich. Einige Menschen werden immer auf umfassende Betreuung angewiesen sein –für sie braucht es passende wohnortnahe Pflegeplätze. Doch viele können selbstständig leben, wenn sie die richtige Unterstützung bekommen. Der AEB begrüßt daher ausdrücklich, dass in Südtirol zunehmend betreuter oder begleiteter Wohnraum für Menschen mit Behinderung geschaffen wird – ein ermutigender Schritt in Richtung Selbstbestimmung, der durch das neue Wohnbaugesetz und die Vereinfachung der persönlichen Assistenz aber stark vorangetrieben werden muss. Mündige Bürger:innen - Wahlrecht und Mitbestimmung für alle
Der AEB ermutigt Familien, gemeinsam mit ihren volljährigen Angehörigen mit kognitiver Beeinträchtigung zur Wahl zu gehen – in dem Bewusstsein, dass auch diese Mitbürgerinnen und Mitbürger ein grundlegendes demokratisches Recht nutzen sollen: das Recht zu wählen. Leider ist der Zugang zur Wahlurne für Menschen mit Behinderung von Gemeinde zu Gemeinde sehr unterschiedlich. Während einige Gemeinden offen und unterstützend agierten, kam es andernorts zu Verunsicherung oder sogar Ablehnung – oftmals aus Unkenntnis darüber, ob und wie Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung ihr Wahlrecht wahrnehmen dürfen. Der AEB ist diesbezüglich in Kontakt mit dem Gemeindeverband und setzt darauf, dass Menschen mit Behinderung, immerhin 10% der Wahlberechtigten, in Zukunft ohne Barrieren zur Wahl gehen können. Fazit und Ausblick
„Das Gesetz hat uns klare Ziele, nämlich Inklusion und Teilhabe, und einen Kompass gegeben“, so Angelika Stampfl. „Jetzt müssen wir mutig und konkret alle noch bestehenden Barrieren abbauen.“ Der AEB fordert von der Landespolitik, endlich die fehlenden Durchführungsbestimmungen zu erlassen, den Mangel an Fachpersonal systematisch anzugehen und Inklusion nicht länger als Sonderlösung, sondern als gesellschaftliche Norm durchzusetzenzurück



